Fachkräftemangel in Deutschland – fehlende Arbeitskräfte oder verringerte Produktivität?

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Fachkräftemangel in Deutschland – fehlende Arbeitskräfte oder verringerte Produktivität?

Beitrag vom 07. Juli 2023

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Die Suche nach qualifizierten Fachkräften gestaltet sich für viele Unternehmen in Deutschland immer schwieriger. Laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) aus dem Jahr 2021 klagen 60% der befragten Unternehmen über Fachkräftemangel. Besonders betroffen sind dabei Branchen wie das Handwerk, die Industrie, die Gastronomie und die Pflege.

Des Weiteren haben auch Unternehmen in der Rechts- und Steuerberatung sowie der Wirtschaftsprüfung einen großen Mangel an Fachkräften zu beklagen. Doch woran liegt es, dass es immer schwieriger wird, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden?

Eine Ursache ist die demographische Entwicklung in Deutschland. Laut einer Prognose des Statistischen Bundesamts aus dem Jahr 2020 wird die Bevölkerung Deutschlands bis zum Jahr 2060 um rund 13% zurückgehen. Diese Zahlen sind insofern mit Vorsicht zu genießen, da die prognostizierten Einwanderungszahlen aufgrund politischer Entwicklungen stark variieren können. Die Zahl der Menschen im erwerbsfähigen Alter wird dabei in jedem Szenario besonders stark abnehmen. Dies führt je nach Prognose zu einem Netto-Arbeitskraftverlust von etwa 400.000 bis 500.000 Personen pro Jahr.

Könnten die vorhandenen Arbeitnehmer*innen den Fachkräftemangel ausgleichen oder sind sie Teil des Problems?

Die durchschnittliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer*innen in Deutschland hat laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zwischen 1991 und 2019 um 5,5% abgenommen. Dabei ist die Arbeitszeit der Vollzeitbeschäftigten nahezu konstant geblieben, während die Arbeitszeit der Teilzeitbeschäftigten und der geringfügig Beschäftigten deutlich gesunken ist. Laut Eurostat arbeiteten abhängig Beschäftigte im Jahr 1991 durchschnittlich noch 37,3 Stunden, im Jahr 2021 durchschnittlich noch 34,8 Stunden (-6,6 %).

Auch die Produktivität in Deutschland liegt im internationalen Vergleich eher im unteren Mittelfeld. Laut einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) aus dem Jahr 2020 lag die Arbeitsproduktivität in Deutschland im Jahr 2019 bei etwa 106% des Durchschnitts der OECD-Länder. Zum Vergleich: In den USA lag die Produktivität bei 132%, in Norwegen bei 124% und in der Schweiz bei 121%.

Mit einer Produktionssteigerung und einer Steigerung der Arbeitsstunden könnten die verbliebenen Arbeitnehmer*innen zumindest kurzfristig die Aufgaben übernehmen, für die bislang neue Fachkräfte gesucht werden. Diese Lösung läuft jedoch konträr zu der derzeitigen Stimmung auf dem Arbeitsmarkt. Arbeitnehmer*innen finden immer mehr Gefallen an Konzepten wie der Vier-Tage Woche und einer allgemeinen Reduzierung ihrer Arbeitsstunden.  Wenn diesen Trends nicht entgegengewirkt werden kann, verschlechtert sich die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Unternehmen nur noch schneller, und der Mangel an Fachkräften spitzt sich weiter zu.

Lösungsansätze

Ingenieure sind ein Beispiel dafür, wie ausländische Fachkräfte den demographischen Wandel in Deutschland zumindest abfedern können. Zwar sind laut dem Verband Deutscher Ingenieure (VDI) über 170.000 Ingenieursstellen unbesetzt, ohne Zuwanderung dürfte dieser Wert jedoch deutlich höher liegen. So ist die Anzahl der ausländischen Beschäftigten mit Ingenieurshintergrund in den letzten 10 Jahren um circa 127% auf 100.000 Arbeitnehmer gestiegen. Damit stammt mittlerweile jeder zehnte Ingenieur aus dem Ausland. Möglich gemacht wurde dies unter anderem durch eine Vereinfachung ihrer Arbeitserlaubnis und bei der Anerkennung ihrer Qualifikationen.

Auch die Attraktivität der Branchen spielt eine wichtige Rolle. Laut einer Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahr 2020 ist zum Beispiel das Handwerk bei Jugendlichen nicht mehr so beliebt wie früher. Nur noch 13,5% der befragten Jugendlichen konnten sich vorstellen, eine Ausbildung im Handwerk zu machen, im Jahr 2006 betrug diese Zahl noch 29,7%. Branchenverbände mit besonders drastischem Fachkräftemangel sind gefordert, die Attraktivität ihrer Berufe zu verbessern und durch Marketingkampagnen zu bewerben. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) hat mit seiner Imagekampagne „Das Handwerk“ gerade im letzten Jahr ihre Sichtbarkeit unter Jugendlichen deutlich gesteigert. Dabei hilft dem Handwerk auch der Umstand, dass ohne Handwerker viele Bereiche der Klimapolitik nicht umsetzbar sind. Beispiele sind dafür die Installation von Wärmepumpen, die Isolierung von Gebäuden oder die Anbringung von Solarpanels.

Ist der Fachkräftemangel auch ein Qualifikationsproblem?

Die Bundesanstalt für Arbeit sprach zumindest 2018 noch davon, dass ein flächendeckender Arbeitskräftemangel nicht vorliege. Dabei argumentiert sie, dass unter Einbeziehung der Arbeitslosen und Migranten in Deutschland der Großteil aller offenen Stellen besetzt werden könnte. Dafür würden jedoch massive Anstrengungen in der Umschulung und Weiterbildung benötigt.

Dies bildet sich auch in dem Bericht „Arbeitsmarkt kompakt, August 2022“ der Bundesagentur für Arbeit ab. Demnach haben per Juni 2022 die Unternehmen 877.000 offene Stellen gemeldet, von denen sich lediglich 193.000 an Helfer richteten. Hingegen waren zeitgleich 1,2 Millionen Menschen auf der Suche nach einer Helferstelle.

Aus Gesprächen mit Unternehmer*innen kann diesem Bericht nicht gefolgt werden. Allenthalben ist zu vernehmen, dass nicht einmal die einfachsten Helferstellen besetzt werden können, um die Fachkräfte zu unterstützen.

Zehntausende Jugendliche beenden ihre Schulzeit, ohne zumindest einen Hauptschulabschluss zu erwerben. Im Jahr 2021 traf das auf ca. 47.500 junge Menschen zu, was einem Anteil von ca. 6,2 % bezogen auf ihre Altersgenossen entspricht. Nach den Ergebnissen des Mikrozensus 2019 hatten 4,2 % der 15-jährigen und älteren Bevölkerung keinen allgemeinbildenden Schulabschluss, das sind rund 2,86 Millionen Menschen (nicht mitgezählt diejenigen, die sich noch in schulischer Ausbildung befinden).

Auch die Bologna-Reform dürfte zum Fachkräftemangel beigetragen haben. Waren im Wintersemester 1998/1999 insgesamt 1.801.233 Studierende eingetragen (mit einer Abbruchquote von ca. 23 % = 414.000), waren es im Wintersemester 2013/2014 bereits rund 2,6 Millionen Studierende und im Wintersemester 2021/2022 rund 2,9 Millionen Studierende, von denen durchschnittlich 27% (ca. 783.000) ihr Studium abbrachen und zunächst ohne Qualifikation dastehen.

Unter diesem Aspekt scheint die Frage zumindest teilbeantwortet, warum im Handwerk der Nachwuchs fehlt, wenn es im Vergleich von 1999 zu 2022 knapp 800.000 mehr junge Menschen an die Universitäten und Hochschulen zieht und das Handwerk mit seiner (bewährten) Methode „Lehrling-Geselle-Meister“ das Nachsehen hat, zumal Home-Office hier, wie auch in Bereichen der Pflege, der Feuerwehr oder der Polizei, nicht umsetzbar ist. 

Fazit

Die aufgeführten Zahlen sind drastisch.

Staatliche Qualifizierungsmaßnahmen, einschließlich der Schulbildung, waren zumindest in der Vergangenheit nicht ausschließlich von Erfolg geprägt. Daher sollten sich Unternehmen nicht darauf verlassen und selbstständig Weiterbildungs- und Ausbildungsangebote offerieren und sich als moderne und attraktive Arbeitgeber darstellen.

Vom „Fitmachen“ von Quereinsteigern bis zur Integration und Befähigung von ausländischen Fachkräften gibt es viele Wege, die individuell auf die Unternehmen abgestimmt werden können. Häufig scheitert aber der Versuch, arbeitswillige Menschen zu aktivieren, an bürokratischen Hürden.

Ob das am 07. Juli 2023 beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz hierzu ausreicht, bleibt abzuwarten. Die Politik ist weiterhin gefragt, aber auch die Unternehmen, entsprechenden Druck auf die Politik auszuüben.

 

Bild: Shutterstock / Gorodenkoff

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