Beitrag vom 17. März 2023
Fehlerkultur ist ein theoretisches Konzept aus den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Es beschreibt, wie Gesellschaften, Gruppen oder Organisationen mit Fehlern, Fehlerrisiken und den Konsequenzen von Fehlentscheidungen umgehen – und ist damit für Unternehmen ein hoch relevantes Thema. Denn die Fehlerkultur ist eng mit der Unternehmenskultur verflochten.
In den USA gehört das Fehlermachen fast schon zum guten Ton. Das fing bereits 1492 damit an, dass sich Christopher Columbus in Indien wähnte. Knapp 500 Jahre später scheiterte Apple-Gründer Steve Jobs mit seinem Computer Lisa, einem Nachfolgemodell des Apple II, grandios, lernte aus seinen Fehlern und baute mit dem Macintosh ein Erfolgsmodell.
Auch der Mobilitätspionier Henry Ford setzte vor seinem Erfolg und auch während seiner Hochphase diverse Unternehmen in den Sand. Haben Sie schon von „Fordlândia“ gehört, einer Stadt, die Henry Ford 1920 mitten in den brasilianischen Urwald bauen ließ? Fehler werden in den USA weithin als Lerngelegenheit verstanden, die Devise:
“Wer nie gescheitert ist, hat sich noch nie an etwas Neuem versucht.“ - Albert Einstein
Fehler zu begehen, wird in deutschen Unternehmen nicht gern gesehen. Bei einer Studie zur Fehlerkultur, von Prof. Dr. Michael Frese von der Leuphana Universität Lüneburg, landet Deutschland im Vergleich mit insgesamt 61 Ländern auf Platz 60 – Vorletzter! Mit dieser Haltung stehen sich die deutschen Unternehmen jedoch selbst im Weg.
Fehler lassen sich kaum vermeiden. Menschen machen Fehler, ob wir wollen oder nicht. Und das ist auch gut so. Denn nur wer Fehler macht, kann daraus lernen, sich stetig verbessern und neue Ideen sowie Innovationen entwickeln.
In einigen Branchen ist es besonders wichtig, Fehler zu vermeiden. Bereits 1979 wurde in der Luftfahrt das Konzept einer modernen Fehlerkultur entwickelt und Crew Resource Management (CRM) genannt. Es umfasst einen ausgereiften Verhaltenskodex für die Flugzeugbesatzung, mit besonderem Fokus auf den Umgang mit Fehlern. Das CRM-Konzept ist bei der Ausbildung von Flugzeugbesatzungen weltweit vorgeschrieben und hat die Sicherheit im internationalen Luftverkehr maßgeblich erhöht.
Keiner macht gerne Fehler. Entsprechend tun wir uns schwer, mit ihnen umzugehen. Das haben auch die beiden US-Wissenschaftlerinnen Lauren Eskreis-Winkler und Ayelet Fishbach herausgefunden. Um aus eigenen Fehlern zu lernen, stehen uns unsere Emotionen und unser Denken im Weg, heißt es in ihrer im Mai 2022 veröffentlichten Studie. Fehler empfinden wir als Bedrohung des eigenen Egos. Und kognitiv tun wir uns schwer, Fehler als solche zu identifizieren. Beides hindere uns, aus Fehlern zu lernen, so das Fazit der Untersuchung.
Fehler machen sei menschlich, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Christoph Seckler (von der ESCP Business School in Berlin). Der Wirtschaftspsychologe Michael Frese (von der Leuphana Universität Lüneburg) drückt es so aus: "Wir müssen Fehler machen, weil dies eine natürliche Begleiterscheinung menschlichen Handelns ist. Weil die Komplexität unserer Umwelt immer größer ist als unser Verständnis davon."
Und gleichzeitig zeigen zahlreiche Untersuchungen, dass Fehler machen in Unternehmen positiv sein kann, weil es Lernprozesse in Gang setzt. Das betont auch der Wissenschaftler von der Berliner ESCP Business School. Viele Entdeckungen wie das Medikament Penicillin oder die leicht klebenden Post-its hätte es ohne vorherige Fehler nicht gegeben. Wichtig sei es, durch einen guten Umgang mit gemachten Fehlern die positiven Konsequenzen zu erhöhen und die negativen Konsequenzen zu minimieren, rät der Wirtschaftswissenschaftler.
Ein Instrument, um künftig besser mit Fehlern umgehen zu können, sind die sogenannten "Fuckup Nights". Bei den meist als lustige Happenings veranstalteten Treffen erzählen Vortragende vor Zuschauern von ihren Fehlern. "Das Gute an den Fuckup Nights ist, dass sie zum einen dem Misslingen das Stigma nehmen. Außerdem hilft es den Leuten, das Gelernte aus den negativen Erfahrungen zu teilen“.
Wichtig ist für Unternehmen genauso wie für Mitarbeitende, das Misslingen von Aufgaben nicht mit Scheitern gleichzusetzen. Nicht jeder Fehler führt automatisch zum Scheitern eines Projektes oder eines Unternehmens. Es ist für Unternehmen eine relevante Aufgabe, eine Fehlerkultur so aufzubauen, dass das Machen von Fehlern und das Misslingen einer Aufgabe nicht zum Scheitern des großen Ganzen führt. Große Katastrophen können zwar aus einfachen, menschlichen Fehlern entstehen, dies passiert aber nur dann, wenn Menschen sich nicht trauen, offen mit ihrem Misslingen umzugehen. Erst das Vertuschen von Fehlern führt zu dieser Folge von Ereignissen, welche fundamentale Auswirkungen auf die zukünftige Entwicklung des Unternehmens haben. Auch gilt es, bei der Qualität eines Fehlers zu differenzieren. Fehler, welche leicht wieder behebbar sind, erfordern ein geringeres Maß an Aufmerksamkeit als Fehler in Situationen, in welchen eine Fehlentscheidung unwiderrufbar und zum Teil katastrophal ist.
In der Ursachenforschung eines stattgefundenen Fehlers gilt es, die vorwurfsvolle „Warum-Frage“ zu vermeiden. Kommunikativ wirkt diese Frage wie ein Angriff und drängt die beteiligten Mitarbeitenden in die Defensive. Die Warum-Frage führt in die Vergangenheit und in ein sogenanntes „Problemkino“.
Eine Führungskraft, die einen kompetenten Mitarbeitenden vor sich hat und an einer Lösung der Fehlersituation interessiert ist, muss von der Warum-Frage zu der „Wie-Frage“ wechseln:“ Wie genau werden Sie sicherstellen, dass das Problem / der Fehler in Zukunft nicht mehr auftritt?“
Diese offene und interessierte Art der Befragung zeigt auch, dass die Führungskraft dem Mitarbeitenden zutraut, das Problem oder den Fehler in Zukunft zu vermeiden. Es steht und fällt mal wieder mit der Kommunikation.
Um gemeinsam eine Fehlerkultur zu schaffen, die tatsächlich zu einem Lerneffekt führt, sind die folgenden Schritte zu empfehlen:
1. Für Fehlerakzeptanz sorgen
Fehler sind Teil des menschlichen Handelns und lassen sich auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden. Das gilt auch für die Führungskräfte eines Unternehmens. Statt 100-prozentige Fehlervermeidung anzustreben, sollte das Management die Fähigkeit fördern, mit Fehlern konstruktiv umzugehen. Dieser Grundgedanke muss in der Unternehmenskultur verankert werden.
2. Sanktionsfreiheit garantieren
Fehler werden nur dann offen angesprochen, wenn es keine Sanktionen gibt. Herrscht unter den Mitarbeitenden Angst vor Gesichtsverlust oder Strafe, so kann das dazu führen, dass Fehler nicht gemeldet, sondern vertuscht werden.
3. Worten Taten folgen lassen
Dieses offene, sanktionsfreie Prinzip muss von allen Führungskräften bis hinauf in die Geschäftsführung überzeugend vorgelebt werden. Nur dann werden sich alle Unternehmensangehörigen trauen, Fehler gegenüber Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitenden anzusprechen, und dabei nicht das Gefühl haben, dass sie andere verraten oder sich selbst um Kopf und Kragen reden.
4. Kommunikation sachlich halten
Die Fehlerkommunikation beruht ausschließlich auf Fakten und läuft so sachlich wie möglich ab. Vorwürfe und Emotionen sind nicht hilfreich und sollten vermieden werden.
5. Andere um Prüfung bitten
Unterschiedliche Menschen beurteilen Situationen oder Entscheidungen oft auch sehr unterschiedlich. Ähnlich wie Kapitän und Copilot die Anzeigen ihrer Instrumente und ihre Interpretationen vergleichen, sollten auch Manager - ganz gleich welcher Ebene - ihre Daten von Kollegen oder Mitarbeitenden überprüfen lassen.
6. Gemeinsam Fehler analysieren
Wer aus Fehlern lernen will, muss zunächst einmal deren Ursachen analysieren. Am besten funktioniert eine gemeinsame sachliche Reflexion von Vorgesetztem und Mitarbeitenden oder unter gleichrangigen Kollegen. In der Luftfahrt gibt es deshalb am Ende eines gemeinsamen Flugtages eine Nachbesprechung oder Manöverkritik. Auch im Unternehmensalltag sollten vergleichbare Etappenziele zur Fehleranalyse festgelegt werden.
7. Mitarbeitende schulen
Die kulturelle Umstellung gelingt nicht von heute auf morgen. In der Luftfahrt hat sie zehn Jahre gedauert. Deshalb sind auch keine radikalen Change-Management-Prozesse erforderlich. Vielmehr genügt es, wenn das Management den offenen Umgang mit Fehlern vorlebt und die Mitarbeitenden durch Überzeugungsarbeit und Schulungen zum Mitmachen bewegt.
Fehlerkultur und Innovation sind untrennbar miteinander verbunden: Wie innovativ ein Unternehmen ist, hängt maßgeblich davon ab, ob die Fehler-Kultur stimmt. In einem Unternehmen mit einer positiven Fehlerkultur können die Mitarbeitenden schnell und immer wieder Neues ausprobieren, aus ihren Fehlern lernen und ihre Erfahrungen mit anderen teilen.
Spüren sie, dass das Management ihnen etwas zutraut und ihnen auch Verantwortung überträgt, steigt nachweislich die Motivation. Mit Hilfe von regelmäßigem gegenseitigem Feedback lassen sich Fehlentwicklungen umsteuern und es gibt die Möglichkeit, neue Wege zu gehen. Haben die Mitarbeitenden diese Rückendeckung, steigt die Bereitschaft, auch mal etwas zu riskieren und dadurch innovative Produkte oder Prozesse voranzubringen.
Shutterstock / CHUYKO SERGEY
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